- AUS DER KLAR WERKSTATT
Buchtipp: Zerstört die vermittelte die echte Politik?
Rory Stewart beschreibt in seinem Bestseller “Politics On the Edge. A Memoir from Within“, wie es einem international erfahrenen Diplomaten und Harvard-Professor ergehen kann, der als Quereinsteiger Politik verändern will. Der Ex-Minister, Polit-Insider und Podcaster, der als konsequenter Gegner eines No-Deal-Brexit in einer von David Cameron, Theresa May und Boris Johnson geführten Partei scheiterte, vermittelt, wie populistische Narrative über politische Substanz dominieren und damit machbare Lösungen verhindert werden.
Angesichts der Ergebnisse der jüngsten EU-Wahlen bieten sich aber auch Denkanstöße, wie Politik künftig vermeiden könnte, den Anschluss an die Wähler:innen zu verlieren.
Kein Politiker wie jeder andere – damit kann man Rory Stewart gut beschreiben: Stationen in der Armee, als Diplomat in Indonesien, am Balkan und im Irak, Leiter einer Hilfsorganisation in Afghanistan, eine Professur in Harvard und ein 6.000-Meilen-Fußmarsch durch Asien hatten Platz, bevor Stewart sich entschied, in die Politik zu gehen, um Dinge wirklich zu ändern.
Was dann folgte, war eine engagierte und bewegte Laufbahn als Abgeordneter, mehrfacher Staatssekretär und Tory-Minister. Und es endete mit dem Antritt und der Niederlage des prononcierten Brexit-Kritikers gegen Boris Johnson in der Vorauswahl um das Amt des Premierministers und dem schlussendlichen Parteiausschluss.
Wer sich von Politics On the Edge Skandale oder bahnbrechend neue Erkenntnisse erhofft, wird von Stewart nicht gut bedient. Was das Buch lesenswert macht, sind vielmehr differenzierte Einblicke, was Politik leisten könnte, aber zugunsten eines inszenierten Pseudo-Diskurses nicht zu leisten im Stande ist. In seinem Rückblick stehen auf evidenzbasierte Reformen des Gefängniswesens zum Vorteil aller Betroffenen einer Reihe von Initiativen gegenüber, die im polit-medialen Fleischwolf geendet haben. Weil zur Botschaft nicht wird, was Sache ist, sondern was den Interessen von Boulevard und Parteistrategen dient.
Stewart beschreibt auch, was es für Abgeordnete bedeutet, mit Menschen in ihrem Wahlkreis glaubwürdig kommunizieren zu wollen und dabei permanent im Kontrast zu irreführenden Kampagnenbotschaften zu stehen. Er macht spürbar, wie die Diskrepanz zwischen dem, was gesagt und was tatsächlich getan wird, zwangsläufig zur Entfremdung zwischen Politikern und Öffentlichkeit führt.
Das gibt gerade angesichts des Ausgangs der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament Anstoß zum Nachdenken, ob uns die Entkopplung politischer Kommunikation von der realen Handlungsebene nicht immer weiter in die falsche Richtung führt.
Stewart, der einst den Prinzen William und Harry Nachhilfe gab und dank seiner Laufbahn 11 Sprachen spricht, führt inzwischen die NPO GiveDirectly und betreibt gemeinsam mit Tony Blairs ehemaligem Kommunikations-Chef und Labour-Strategen Alastair Campbell den erfolgreichen Podcast The Rest Is Politics.